Verlage DE
Verlage

Visualisieren als Kommunikationsform

Wir alle haben als Kinder gezeichnet – und doch legen die meisten von uns diese Fähigkeit irgendwann ab. Dabei steckt im Visualisieren ein enormes Potenzial: als universelle Sprache, Denkwerkzeug und Kreativmotor. Die Illustratorin und Workshop-Leiterin Mägi Brändle zeigt, warum es sich lohnt, den Stift wieder in die Hand zu nehmen – ganz ohne künstlerischen Anspruch, aber mit grossem Gewinn für Alltag und Berufsleben.

Text: Mägi Brändle

Neben Mimik, Gestik und Sprache ist das Zeichnen noch vor dem Schreiben eine Möglichkeit, mit unserer Umwelt zu kommunizieren. Als Kinder haben fast alle von uns intuitiv und oft mit Freude gezeichnet. Irgendwann haben dann aber die meisten von uns damit aufgehört. Unsere Bilder konnten dem Vergleich mit anderen und/oder unseren Ansprüchen nicht mehr standhalten. Die Bewertung durch Noten von Zeichnungen in der Schule war zudem auch nicht unbedingt hilfreich. 


Wir verfügen also über einen Kommunikationskanal, den wir ungenutzt schlafen lassen, obwohl er universell einsetzbar wäre. Eine Sprache, die alle verstehen, die sich aber nur wenige getrauen zu sprechen. Das ist schade und sollte sich ändern.

Ein möglicher Zugang zu dieser Sprache ist das Visualisieren. Ich nenne die Visualisierung gerne die Schwester der Zeichnung. Visualisierungen bestehen aus einfachen Grundformen und sind auf das Wesentliche reduziert. Sie sollen schnell und einfach erstellt werden können. Es geht nicht um Schönheit und Kunst, sondern um Kommunikation. Dazu gehört auch der Text. Der Text bestimmt, was das Bild aussagen soll. Weil beim Visualisieren oft mit Symbolen oder Icons gearbeitet wird, die sehr verschiedene Bedeutungen haben können, ist der dazugehörige Text wichtig.


Und trotzdem zögern viele, den Stift wieder in die Hand zu nehmen. „Ich kann nicht zeichnen“, ist die Aussage, die ich meinen Workshops am meisten höre. Meiner Erfahrung nach hilft es sehr, sich zu sagen: Ich zeichne jetzt nicht, ich visualisiere. Es ist ein Neubeginn bei null. Visualisieren ist eine Technik, die einfach erlernt werden kann. Strich um Strich eignet man sich ein Repertoire an Symbolen an. Klar, das braucht ein bisschen Übung. Aber da wir alle schreiben gelernt haben, verfügen wir über die Grundvoraussetzungen, die wir fürs Visualisieren brauchen: Gerade und gebogene Striche auf ein Blatt zu setzen. Das ist alles. Aus meiner Sicht gilt sowieso: JEDE Visualisierung ist besser als keine Visualisierung. Vielleicht sind nicht alle mit dem Bild einverstanden oder ein Zusammenhang bleibt unklar. Dank der Visualisierung haben wir aber eine Abbildung, auf die wir zeigen und die wir bei Bedarf ergänzen oder abändern können. Das hilft enorm für das Verständnis eines Inhaltes.


Tatsächlich lassen sich Visualisierungen in fast allen Lebensbereichen gewinnbringend einsetzen. In Workshops und im Unterricht, für To-do-Listen, Projektplanungen oder einfach nur für den Infozettel am Kühlschrank, die nächste Geburtstagseinladung oder den Tagebucheintrag. Visualisierungen sind ein tolles Werkzeug, um unsere eigenen Ideen, Wünsche oder Ziele SICHTBAR zu machen. Sie ermöglichen uns, unseren Kopf zu leeren, Inhalte genauer unter die Lupe zu nehmen und von verschiedenen Seiten zu betrachten. Aber auch für die Ideenentwicklung selbst sind Visualisierungen äusserst hilfreich. Ein hübscher Nebeneffekt von Visualisierungen ist, dass sie die eigene Kreativität stimulieren und somit auch zu neuen Ideen verhelfen können. 


Ausserdem haben Studien gezeigt, dass sich die meisten Menschen Bilder besser merken können als Text. Es macht also beim Lernen durchaus Sinn, Zusammenfassungen mit Bildern zu ergänzen und sogenannte Sketchnotes zu erstellen. Der Erfinder dieses Begriffs, der US-Amerikaner Mike Rohde, hat mit seinem „Sketchnote Handbook“ 2014 einen Visualisierungsboom losgetreten. Wie bei klassischen Textnotizen notiert man sich für Sketchnotes die wichtigsten Inhalte, fügt aber passende Bilder hinzu. Im Unterschied zu Textnotizen schaut man sich Sketchnotes auch gerne ein zweites oder drittes Mal wieder an. Das ist natürlich die beste Voraussetzung, um sich den Inhalt auch zu merken.  


Wir können also das Visualisieren für uns selbst brauchen oder auch in Workshops oder im Unterricht einsetzen. Zugegebenermassen braucht es ein bisschen Mut, vor Publikum zu visualisieren. Hier gibt es aber eine Reihe von Möglichkeiten, wie man sich Schritt um Schritt an das Ad-hoc-Visualisieren herantasten kann. Inhalte können ganz oder teilweise vorbereitet, abgedeckt oder ergänzt werden. Denn es lohnt sich: Zu sehen, wie etwas Strich um Strich von Hand entsteht, fesselt noch immer die Aufmerksamkeit des Publikums. 

Visualisierungen haben also zahlreiche Vorteile. Das Allerschönste am Visualisieren ist aber, dass es einfach Spass macht. Einen Stift aufs Papier zu setzen und aus einer Linie ein Bild entstehen zu lassen, hat etwas Magisches.

Mägi Brändle liebt es, Neues zu lernen, und schleppt immer mindestens zwei Skizzenbücher

in verschiedenen Grössen mit sich herum. Darin notiert und skizziert sie alles, was sie inspirierend findet oder woran sie sich erinnern möchte. Mit den Jahren ist daraus

eine kleine Sammlung geworden. Daneben gibt sie mit ihrem Unternehmen visualisierbar.ch

Workshops für Visualisierungsbegeisterte und alle, die es werden wollen.

Mägi Brändle
Mein Skizzen- und Lerntagebuch
ISBN 978-3-0355-2675-2 
CHF 23.–

Mägi Brändle
Alles ist visualisierbar
Nehmen Sie den Stift selbst in die Hand
ISBN 978-3-0355-2206-8 
CHF 30.–

Könnte Sie auch interessieren